Aus der Laudatio zur Preisverleihung von Corinna Kirchhoff

 

Ganz anders der zweite Beitrag, auch er wurde des ersten Preises für würdig befunden: „Im Wort –im Bild –im Klang“, so sein Titel. Die Regisseurin, Uschi Niehaus, von Profession eigentlich Malerin, präsentiert uns eine einzige meditative Einstellung, in der, was unser vom Ereignis und der Zerstreuung geprägten Verständnis der höheren und tieferen Dinge überfordert, scheinbar „nichts geschieht“. Oder besser gesagt: „wenig passiert“ zu passieren scheint. Die Kamera ist fixiert, und das Objektiv fängt eine leere Wand und darauf eine leere, nur grundierte Leinwand ein. Vom räumlichen Umfeld ist nichts auszumachen. Wir sehen die Malerin nicht. Aber wir hören sie. Wir hören die Geräusche, mit denen sie sich ans Werk macht. Außerhalb des Bildes. Töne, die sich vermischen mit den Alltagstönen von draußen, vom Stadtverkehr rund um ihre Werkstatt.


Das an Malewitschs Quadrat erinnernde Tableau (aber das ist freie Auslegung) ist, wie gesagt, von einem monotonen Schabegeräusch untergelegt, wohl das Schürfen und Scharren eines Mal-Spachtels, ein Geräusch, das den Widerstand des Materials und / oder – da sich kein Relief, keinerlei Kontur zeigt – die Unmöglichkeit der Bildwerdung sinnfällig macht. Das Auge der Kamera beginnt sich der Leinwand zu nähern. Es verengt den Raum, die Sicht – und zugleich weitet sie beide, Raum und Sicht: ins nahezu Unendliche. Zur Musik von Bach. Zu den Klängen des Cellos, das einen Auszug spielt aus einem Pre-Lude!, einem Vor-Spiel, dem Prelude zur ersten Cello-Sonate von Johann Sebastian Bach. Ein großes Stück. Eine großartige Komposition. Ein Stück, von dem der Schriftsteller Ferdinand von Schirach einmal gesagt hat, in diesen Klängen läge eine, wenn nicht die ganze Welt.
Eine ganze Weile – wie lange wohl für den einen, wie lange für den anderen Betrachter? –sind da nur noch die grundierte Leinwand zu sehen und das Lichtspiel, das nun – ja, von wo nun eigentlich – kommt? Und zu hören nur noch diese Töne! Dann bricht alles ab. Wir stehen vor dem Zweiten Gebot. Und Hören und Sehen sind vergangen. Abspann.


Es ist Uschi Niehaus, wie wir fanden, mit ihrem Filmpoem gelungen, unseren überbebilderten Vorstellungswelten ein Prinzip entgegenzuhalten, das auf Verzicht aus ist: Es wirkt somit wie ein Antidot gegen die üblichen hohlen Botschaften, die sich als Heilsversprechen ausgeben, und deren es genug gibt in unserer Götzenwelt der Abirrung und Korrumpierbarkeit.


„Im Wort – im Bild – im Klang“ ist ein Film, der seinen ganzen Reichtum aus der Sparsamkeit seiner Mittel bezieht. Poesie, die aus der Strenge ihre Kraft schöpft. Ja, man kann ihn, diesen Film, minimalistisch, puristisch, einfach meinetwegen, schön auch, oder poetisch nennen. Das alles kann man. Das alles stimmt auch mehr oder weniger, so oder so. Doch: sein, darf man auch angesichts des gewählten bzw. gestellten Themas bzw. der zu bewältigenden Aufgabe sagen: sein
„Reichtum“, sein Vielfältiges, sein, ja doch auch ziemlich Hintergründig-Vertracktes, das entfaltet sich erst wie ganz allmählich, heimlich, geheimnisvoll – im Dahinter, hinter den so sparsamen wie schönen Bildern und Tönen - und schließlich einmal mehr danach, wenn alles verklungen zu sein scheint. Vor der Strenge des Zweiten Gebots hält die Künstlerin mit ihrer strengen Kunst sanft – demütig gar? – inne. Und wir mit ihr.