MANCHMAL, WENN DIE WELT SINGT

Fünf Anmerkungen zu Bildern von Uschi Niehaus
Paul Hausmann | 7. Dezember 2007

Erstens: Bach

Im Berliner Atelier der Künstlerin. Musik. Die letzten Takte einer Polka von Josef Strauß. Ein paar Töne noch, ein flüchtiger Moment, der sich kurz mit den langen, schmalen Fahnenbildern verbindet, die, ungerahmt, mit Klammern befestigt, von der Decke bis auf den Boden hängen. Bahnen, auf denen, von oben nach unten, Zeichen flüstern. Schwarz auf Weiß. Als gäbe es nur sie, diese Zeichen, diese Zeichnungen und diese letzten Klänge, Töne der Musik. Sonst nichts. Als sei das eins. „Wenn ich beim Arbeiten Musik höre, dann lieber Bach“, sagt Uschi Niehaus.

Zweitens: BlauinBlau

In einem zweiten Raum: zwei großformatige Bilder. Blau. Blau in Blau. Blau geschichtet. Changierend. Ins Helle. Ins Dunkle. Bis ins Schwarze. Dort nimmt die Lust, in diesen Bildern zu lesen, ihren Anfang, findet das Auge einen Anhaltspunkt. In einem der beiden Bilder, wie lichte Flecken, von der Sonne hingeworfen auf die Oberfläche: Einblicke, Durchblicke auf eine hellere, andere Welt unter dem Blau. Leuchtender Vorschein aus dem Untergrund. Die Seerosen-Bilder von Monet fallen einem ein. Monet, der einmal davon gesprochen hat, dass die Aufgabe des Künstlers darin liege, darzustellen, was zwischen ihm und dem Objekt stehe, die Schönheit der Atmosphäre. Das Unmögliche. Aber diese beiden großen Bilder heißen „Gebet“ und haben mit Monet nichts zu tun. Ein Kleineres, gerahmt, mit einem Passepartout versehen, zeigt ein verwandtes Motiv. Schwarz-Blau: Linien ins Unendliche. Sein Titel: „Gesang“.

Drittens: Kunst ist Wagnis

Wann wird Schrift zum Bild und wann wird Bild zur Schrift? Niehaus’ Arbeiten, ihre Zeichnungen, Collagen, ihre Malerei, spielen an, spielen mit diesem Übergang. Erinnern mich zuweilen an jene Zeichenbilder, mit denen im alten Ägypten die ganze Welt beschrieben wurde. Das Beiläufige wie das Wesentliche. Unsere Natur, übersetzt in Zeichensprache, die Schrift der Bilder. Ein Balance-Akt. Ein Wagnis allemal. Das gilt auch für die in ihrer offenen Bewegung betörenden Aquarelle von Uschi Niehaus, die so leicht, so leicht einsehbar und verständlich erscheinen. Und doch, bei allem Anschein von Leichtheit und Harmonie, lodern und fliegen können, unberechenbar bleiben und nicht aufzuhalten sind.

Viertens: Berühren

Uschi Niehaus arbeitet nicht allein mit dem Pinsel. Sie drückt die Farbe auch aus der Tube auf die Leinwand, auf das Papier, schreibt, malt so weiter. Mit einem Stöckchen. Mit dem Finger. Mit dem Fingernagel. Mit der Materie. Alles ist Berührung, erotisch auch so - das Auftragen, das Eindrücken; das Einritzen; der Umgang mit dem Pigment, der Kreide, der Ölkreide, dem Bleistift; das Collagieren, Übereinanderschichten; das Spiel mit der Semitransparenz; das Verbergen und Entdecken, Sichverbergen und Sichentdecken lassen. Manche Bilder kommen wie aus dem Nichts. Etwas wird sichtbar. Und verschwindet wieder. So sieht Verführung aus.

Fünftens: Manchmal

„Schläft ein Lied in allen Dingen
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst Du nur das Zauberwort.“


Berlin, 7. Dezember 2007 - Paul Hausmann